Der deutsche Hans

Planung, Kontrolle, Sicherheit – Tugenden, die Hans Knirsch scheinbar wie kein anderer verkörpert. Bis seine Frau Helena auf Kur ins Fichtelgebirge fährt. Und schon geraten die deutschen Tugenden ins Wanken. Hans fällt eine Schraube aus der Nase und er aus seiner Rolle. Er hat sein Leben nicht mehr im Griff, wird zum Spielball des Zufalls, der ihn auf eine ziellose Deutschlandreise schickt. Und während er sich dabei immer weiter in Probleme verstrickt, kommt er der Lösung seines eigentlichen Problems unmerklich näher.

‚Die Schraube‘
Illustrierter Roman
Álamos-Verlag, 2016
ISBN: 978-3-00-050480-8
148 Seiten / 17 x 24,5 cm

 

 

 

Leicht und witzig kommt das Debüt von Robin Jahnke daher. Würde ‚Die Schraube‘ nicht größtenteils unter wolkenverhangenem Himmel spielen – sie könnte fast als Kammerspiel durchgehen. Jahnke schickt Karikaturen urdeutscher Charaktere in unerwartete Situationen und entwirft in teils seitenlangen Fußnoten ein schräges und doch treffendes Deutschland-Panorama. Dabei machen die drei Protagonisten trotz ihrer Macken noch die beste Figur: Kontrollfreak Helena Knirsch und die chaos-erprobte Punkerin Doro Schlüter mit ihren gegensätzlichen Eigenschaften und Lebensauffassungen mögen die Pole des Seelenlebens von Hans Knirsch darstellen – ein Charakter zum Fremd-Schämen, der gnadenlos an der eigenen Freiheit scheitert und seiner Unsicherheit vermutlich mit der deutschesten aller Tugenden begegnet: Er funktioniert. Zumindest solange das Funktionieren funktioniert.

Hans Knirsch sucht nach einer Notrufsäule (Illustration: Felix Pestemer)

 

 

 

 

 

 

 

Außergewöhnlich ist das Zusammenspiel von Bild und Text. Jahnke arbeitete bereits nach Entwurf des Plots eng mit dem Berliner Künstler Felix Pestemer zusammen. Die beiden verwoben kongenial Szenen der Geschichte mit den zahlreichen detaillierten Zeichnungen Pestemers, die den Text nicht einfach nur illustrieren, sondern spielerisch interpretieren oder manchmal sogar weitererzählen. So verdichtet sich der Roman Seite für Seite zu einer grotesken Welt, „die realer nicht sein könnte“ (aus dem Klappentext).

Die hohe Qualität von Druck und Verarbeitung verdankt das Buch dem Designer Paul Bieri, der das Layout besorgte. In Auftrag gegeben hat das Werk der mexikanische Herausgeber Lino Santacruz Moctezuma. Er ließ dem Duo Jahnke und Pestemer alle erzählerischen Freiheiten – nur ihre Heimat Deutschland sollte „im weitesten Sinne“ repräsentiert sein. Santacruz, seit über fünfzehn Jahren als Diplomat, Pressesprecher, Redakteur und nicht zuletzt Kulturmäzen in Deutschland tätig, sieht in dem Projekt einen Beitrag zu den bilateralen Beziehungen beider Länder. Dass Jahnke und Pestemer das zum Anlaß nehmen ein kritisches Deutschlandbild voller karikierter Figuren und persiflierter Klischees zu entwerfen, sieht er mit einem Schmunzeln: „Typisch deutsch“.

Christian Gaul liest ‚Die Schraube‘: Buchpräsentation des Álamos-Verlag in der Akademie der Künste Foto: Marco Urban

Der Roman ‚Die Schraube‘ ist im November 2016 beim frisch gegründeten Álamos-Verlag auf deutsch und spanisch erschienen. Die von Schauspieler und Synchronsprecher Christian Gaul gelesene Hörbuchfassung ist bislang nur auf deutsch erhältlich. ‚Die Schraube‘ entstand anlässlich des Deutschland-Mexiko-Jahres 2016-17 parallel zum Erzählband ‚Potslom‘, einer Sammlung von zwölf transkribierten Erzählungen indigener Völker Mexikos.

Niels H. Blume, Erstlektor der Schraube